ICE-Strecke Ulm-Augsburg
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Bauernverband schlägt Alarm

ICE-Strecke Ulm-Augsburg: Verhältnismäßigkeitsprüfung beantragt

28.06.2021 | Die Planungen für den Ausbau der ICE-Strecke von Ulm nach Augsburg schreiten voran. Noch wurde keine konkrete Trassenführung beschlossen. Mögliche Betroffenheiten der Betriebe unbedingt individuell einbringen. Der Bauernverband in Schwaben hat jetzt eine Verhältnismäßigkeitsprüfung beantragt.

Der Bayerische Bauernverband (BBV) Schwaben ruft seine Mitglieder auf, bereits in diesem frühen Stadium ihre Betroffenheiten einzubringen. Gleichzeitig fordert er eine Prüfung der Verhältnismäßigkeit aller Infrastruktur- und Baumaßnahmen im Regierungsbezirk.

Um trotz des Versammlungsverbotes aufgrund von Corona Informationen an betroffene Landwirtschaftsbetriebe in die Breite zu bringen, organisierten die BBV-Kreisverbände Günzburg, Neu-Ulm und Augsburg eine Videokonferenz zum Planungsstand des Streckenausbaus. Große Einigkeit herrschte darin, dass das Bahnprojekt in den Regionen Mittelschwaben und Augsburg in puncto Flächenverbrauch das Fass sprichwörtlich zum Überlaufen bringe.

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ICE-Strecke

Abbau der Landwirtschaft: Flächenverbrauch unverhältnismäßig und zu hoch

In ganz Schwaben wird gebaut. Überall laufen derzeit Planungen für den Ausbau von Autobahnen, Bundesstraßen, Umgehungsstraßen, Hochwasserschutz, aber auch für Gewerbe-, Industrie- und Wohnraumentwicklungen. Doch nicht nur für die geplanten Maßnahmen werden massiv Flächen verbraucht. Stets kommen noch Flächen für den naturschutzfachlichen Ausgleich, Brückenbauwerke und neue Auf- und Abfahrten hinzu. Durch Flächenanschneidungen sind die Landwirte ebenfalls betroffen - im schlimmsten Fall werden durch die Anschneidung von Hofstellen und Betriebsstrukturen existenzgefährdende Situationen geschaffen.

Die Anforderungen von Politik und Gesellschaft an die landwirtschaftlichen Betriebe sind mehr als widersprüchlich. Zu Beginn der Corona-Krise wurde die heimische Landwirtschaft für die regionale Erzeugung von Lebensmitteln als systemrelevant eingestuft. Zudem soll die Landwirtschaft gleichermaßen an der Energiewende, sowie dem stärkeren Klima- und Ressourcenschutz mitwirken. Trotzdem verschwinden tagtäglich Äcker und Wiesen unter Teer und Beton. Durch unzählige geplante Infrastruktur- und Baumaßnahmen wird den Landwirtsfamilien regelrecht die Existenzgrundlage entzogen. Beim Flächenverbrauch ist mittlerweile eine Dimension erreicht, die massiv in die Entwicklung und Zukunftsfähigkeit unserer Branche eingreift. Das ist nicht nur ein Problem für die Betriebe und die Biodiversität, sondern für uns alle. Denn wenn Artenvielfalt, regionales Essen und Bauernhöfe in Schwaben eine Zukunft haben sollen, müssen landwirtschaftliche Flächen mehr geschützt werden!

Der BBV Schwaben betont immer wieder diese für die Landwirtschaft unauflösbaren Widersprüche in Politik und Gesellschaft. Dieses Spannungsfeld bedarf einer ganzheitlichen Betrachtung. Wir fordern deshalb eine ressortübergreifende Prüfung der Verhältnismäßigkeit und eine Priorisierung der Maßnahmen von Politik, Verwaltung und Planungsverbänden ein.

Verhältnismäßigkeitsprüfung beantragt

Bahntrassen, Umgehungsstraßen, Hochwasserschutzmaßnahmen, Kiesabbau, Industrie-, Gewerbe- und Wohnraumentwicklung - in ganz Schwaben wird geplant und gebaut. Eines haben alle diese Maßnahmen gemeinsam: Sie brauchen Platz - nicht nur für die Projekte an sich, sondern auch für damit gekoppelte Maßnahmen wie Brückenbauwerke, neue Auf- und Abfahrten sowie den gesetzlich vorgeschriebenen naturschutzfachlichen Ausgleich.

Und wo kommen diese Flächen her? Ganz einfach: Die Landwirte müssen ihr kostbares Acker- und Weideland hergeben. Seit 1960 sind so im Freistaat mehr als 840.000 Hektar Felder und Wiesen unter Teer und Beton verschwunden. Das entspricht den landwirtschaftlichen Flächen von Schwaben und Unterfranken zusammen. Weitere Infos zu diesem Thema finden Sie hier.

Sichtbar wird das zum Beispiel in Neu-Ulm und insbesondere an der ICE-Strecke Ulm-Augsburg. „Die Region ist sehr wirtschaftsstark“, sagte die schäbische Bezirksbäuerin Christiane Ade bei einem Pressetermin am 25. Juni 2021 „In der Folge wird überall gebaut: Die Deutsche Bahn plant die ICE-Strecke Ulm-Augsburg. Zudem werden Autobahnen und Bundesstraßen ausgebaut. Weiter entstehen Ortsumfahrungen sowie neue Industrie- und Wohnbaugebiete. Der Flächenverbrauch führt zu einem Abbau der Landwirtschaft. Dem Nachwuchs fehlt die Zukunftsperspektive, ohne Boden kann es in Zukunft keine bäuerliche Landwirtschaft mehr geben“, betonte Ade.

„Das Thema betrifft ganz Schwaben und ganz Bayern“, machte Bezirkspräsident Alfred Enderle deutlich. Bahntrassen, Wohn- und Industriegebiete, Autobahnen, Bundes- und Landstraßen sowie Ortsumfahrungen, alle mit den zugehörigen Auf- und Abfahrten und Brückenbauten, aber auch Gasleitungen, Hochwasserschutzmaßnahmen und Kiesabbau sowie der gesetzlich vorgeschriebene naturschutzfachliche Ausgleich - das alles bedeutet Flächenverbrauch ohne Ende. Gleichzeitig stellen Politik und Gesellschaft immer höhere Anforderungen an die heimische Landwirtschaft. Das steht im krassen Widerspruch zueinander.

Um dem Thema erneut Nachdruck zu verleihen, haben der Bezirksverband Schwaben des Bayerischen Bauernverbandes, Bezirkspräsident Alfred Enderle, Bezirksbäuerin Christiane Ade und alle schwäbischen Kreisbäuerinnen und Kreisobmänner bei Politik und Verwaltung jetzt eine ressortübergreifende Verhältnismäßigkeitsprüfung beantragt.

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Übersicht Flächenverbrauch BBV Schwaben

Individuelle Betroffenheiten unbedingt einbringen

Um zeitgleich mit den Vertretern aus der Regional- und Kommunalpolitik und der Verwaltung Informationen aus erster Hand zu erhalten, hat sich der Bauernverband entschieden, in den einzelnen Projektgremien für den Ausbau der ICE-Strecke von Ulm nach Augsburg mitzuarbeiten. Die Teilnahme an den bisherigen Besprechungen hat gezeigt, wie richtig und wichtig dieser Schritt war. Denn einzig und allein der Bauernverband hat sich zum Thema „Eigentum und Flächenverbrauch“ kritisch geäußert. In ersten Gesprächen hat der Bauernverband die Bahn bereits aufgefordert, aufgrund der massiven Betroffenheit absolut flächensparend zu planen. Auch unabhängig von der Trassendiskussion haben die BBV-Vertreter klar gefordert, das „zweite Damoklesschwert beim Flächenverbrauch“, nämlich den naturschutzfachlichen Ausgleich für das vermeintlich ökologisch bewertete Projekt des Bahnausbaus, ohne Wenn und Aber abzulehnen.

Die Bahn prüft derzeit die sogenannten Raumwiderstände von fünf möglichen Trassenvarianten. Landwirtschaftliche Betriebe werden dabei aktuell noch nicht berücksichtigt. Ein Versäumnis, das der Bayerische Bauernverband anprangert. Auch die massiven Nachteile und Einschnitte in die Betriebsorganisation der betroffenen Landwirtsfamilien müssen als Teil des Raumwiderstandes Berücksichtigung finden!

Der BBV Schwaben hat nun beschlossen, in die Offensive zu gehen: Es wurde ein Musterformular entwickelt, mit dem Landwirte, die von den jeweiligen Trassenvarianten betroffen sind, die Belange und Einwände ihrer Betriebe einbringen können. Alle betroffenen Landwirtsfamilien werden aufgerufen, von diesem Angebot unbedingt Gebrauch zu machen und nicht abzuwarten, wie sich die Trassendiskussion entwickelt. Nur so kann bereits jetzt das Ausmaß der Betroffenheit der heimischen Landwirtschaft verdeutlicht werden.

Derzeit keine Flächenverkäufe

In der Videokonferenz der BBV-Kreisverbände Günzburg, Neu-Ulm und Augsburg appellierten die Landwirte, gemeinsam in dieser Sache zusammenzustehen. Der Bauernverband kommt dem nach und ruft Grundstückseigentümer und Landwirtsfamilien auf, derzeit auf keinen Fall Flächen für das Projekt zu veräußern. So könnten Tatsachen geschaffen werden, die die berechtigten Anliegen der Landwirte unterlaufen. Zu einem wesentlich späteren Zeitpunkt kann dann immer noch darüber beraten, ob es Sinn macht, die Interessen der Landwirtsfamilien und Grundstückseigentümer zur gemeinsamen Verhandlung von Rahmenverträgen zu bündeln.