Jochen Borchert a.D.
© BBV Josef Wittmann
Bundesminister a. D. Jochen Borchert bei der Vorstellung der Machbarkeitsstudie

Videokonferenz mit Bundesminister a.D. Jochen Borchert

Thema: Zukunft der heimischen Nutztierhaltung

16.04.2021 | Kreissobmann Johann Mayer konnte Landwirte und Fachleute aus der Viehhaltung und Vermarktung begrüßen. Bundesminister a. D. Jochen Borchert stellte sich als Vorsitzender des Kompetenznetzwerkes Nutztierhaltung den zahlreichen Fragen zu den Ergebnissen seiner Kommission und der Machbarkeitsstudie.

Kreisobmann Johann Mayer sprach einleitend von einer Entfremdung der Gesellschaft von der Landwirtschaft. Das Essen sei in den Hintergrund geraten und die Vorstellungen und Wünsche führen aus einem Wohlstandsdenken heraus zu einer Überforderung der Landwirte. „Immer mehr Viehhalter stehen aufgrund der Arbeitsüberlastung aber auch finanziell vor dem Abgrund“, erklärte Mayer und betonte, dass die heimische Landwirtschaft der Daseinsvorsorge diene.

Bundesminister a. D. Jochen Borchert führte einleitend aus, dass es die Debatte um Tierwohl in erster Linie in Deutschland, aber nicht in anderen Ländern laufe. Da werde vormittags nach Billigangeboten geschaut und nachmittags für mehr Tierwohl demonstriert. Es bestehe die Gefahr der Abwanderung der Nutztierhaltung aus Deutschland. Der Tierschutz wurde als Staatsziel festgelegt. Dieses Ziel erreiche man aber nicht, wenn die Tierhaltung bei uns zurückgeht und zunehmend Fleisch aus Ländern importiert werde, wo der Tierschutz keine maßgebliche Rolle spiele. „Die Produktion öffentlicher Güter muss mit öffentlichen Geldern gefördert werden“, betonte Borchert. Wenn die Gesellschaft eine artgerechte Tierhaltung wolle, dann müsse die Gesellschaft dieses öffentliche Gut auch finanzieren. Er rief dazu auf, den Prozess der Änderung selber einzuleiten und zu gestalten und nicht Gerichtsurteile und ordnungsrechtliche Maßnahmen des Staates abzuwarten. „Wenn wir weiter Nutztiere in Deutschland halten wollen, brauchen wir die Akzeptanz der Gesellschaft“ erklärte er. Ambitionierte Ziele seien notwendig. Hierfür werden aber auch Zeit und das erforderliche Geld benötigt.

Borchert erläuterte die Vorschläge seiner Kommission zur Schweinehaltung, die sich an den Haltungsstufen des Bundeslandwirtschaftsministerium orientieren. Er forderte die Kompromissbereitschaft der Beteiligten ein. Die Begleitung des Pakets durch ein staatliches Tierwohlkennzeichen bezeichnete Jochen Borchert als notwendig. Unabdingbar sei auch die entsprechende Anpassung der Bau- und Umweltgesetzgebung. Hier gebe es noch große Probleme und nicht unerhebliche Differenzen in der politischen Auseinandersetzung. Die errechneten Kosten von 3,6 Mrd. €/Jahr für die Umsetzung seien auf der Basis gleichbleibender Rahmenbedingungen und dem technischen Fortschritt berechnet worden. „Landwirte, die investieren wollen, brauchen eine Perspektive“, folgerte Borchert. Die Maßnahmen müssen wirtschaftlich sein. Zur Absicherung der Investitionen favorisiert er Verträge der Bundesrepublik mit den Landwirten. Diese seien nicht vergleichbar mit den bisher bekannten Programmen und Subventionsregeln. Darauf können sich die Betriebe verlassen. Ihm sei kein Fall bekannt, wo der Staat solche Verträge nicht eingehalten hätte. Eine artgerechte Nutztierhaltung scheitere nicht an den Nutztierhaltern, sondern am Parlament, wenn dieses nicht die entsprechenden Weichen stellt. Andere Lösungen, als die vorgestellten, würden aus seiner Sicht nicht funktionieren. Er warnte davor, die Tierwohlanforderungen durch die Umverteilung von GAP-Mitteln regeln zu wollen. Dies führe nur zu weiteren Konflikten.

Zur Finanzierung der Maßnahmen erläuterte Borchert die Möglichkeit einer Erhöhung der Mehrwertsteuer auf Fleisch von 7 auf 19 %. Damit lasse sich die Umsetzung einfach vollziehen und Importprodukte werden ebenfalls erfasst. Die Mehrbelastung betrage 70 Cent je Person und Woche. Die Vorschläge seiner Kommission hätten im vergangenen Jahr eine große Zustimmung im Bundestag und von den Bundesländern erfahren. Die Machbarkeitsstudie bestätige ebenfalls die Umsetzbarkeit. Übrig geblieben seien drei Finanzierungmodelle: ein Zusatzsoli, eine Tierwohlabgabe und eine Erhöhung der MwSt. Eine Zweckbindung von Steuern sei europarechtlich nicht möglich. Er plädierte, jetzt die Grundsatzentscheidungen zu treffen. „Wir brauchen jetzt die politische Entscheidung“ wiederholte er und rief die Landwirte und ihre Berufsvertretung auf, der Gesellschaft und der Politik die Konsequenzen aufzuzeigen. Die deutsche Nutztierhaltung verliere ansonsten zunehmend an Wettbewerbsfähigkeit und wandere ins Ausland ab. „Bundesregierung, Bundesrat und Bundestag werden nur dann umstellen, wenn die Bauern das wollen und auch Druck machen“, hob Jochen Borchert hervor. „Wir dürfen nicht die nationalen Standards anheben“, bekräftigte er. Durch weitere Vorgaben in der Nutztierhaltungsverordnung wäre ansonsten keine Förderung mehr möglich. In den anschließenden Fragerunden wurde in erster Linie auf die Finanzierung der propagierten Maßnahmen abgestellt. „Verlässlichkeit bekommen wir nur mit Verträgen“, antwortete Borchert. Bezüglich der Umsetzung sei die Gefahr eines bürokratischen Monsters groß, wandte ein Teilnehmer ein. Borchert stimmte zu, dass es zu einem Mehr an Bürokratie komme. Diese lasse sich allerdings in Grenzen halten. Zum Schluss rief er die Landwirte auf, weiter in den politischen Gremien aktiv zu bleiben und sich in der Politik zu engagieren.