Rotwild in Bayern – Genetische Vielfalt sichern, Eigentum achten, Landschaft verantwortlich gestalten
Positionen des Bayerischen Bauernverbandes, empfohlen durch die Arbeitsgemeinschaft der Jagdgenossenschaften und Eigenjagdbesitzer
Das Rotwild ist die größte heimische Wildart und ein prägendes Element unserer Kulturlandschaft. Seine Bewirtschaftung berührt zentrale Interessen von Jagd-, Forst-, Landwirtschaft und Grundeigentum.
In jüngster Zeit wird verstärkt auf eine angebliche genetische Verarmung hingewiesen, verbunden mit Forderungen nach landesweiten Wanderkorridoren oder gar einer Auflösung der bestehenden Rotwildgebiete. Diese Diskussion ist emotional aufgeladen, aber wissenschaftlich unzureichend fundiert.
Der Bayerische Bauernverband mit seiner Landesarbeitsgemeinschaft der Jagdgenossenschaften und Eigenjagdbesitzer (ARGE) bekennt sich zu einem verantwortungsvollen, faktenbasierten Rotwildmanagement. Sie warnt vor politischen Schnellschlüssen und medialen Schlagworten, die das bewährte Gleichgewicht zwischen Wald, Wild und Eigentum gefährden würden.
Wissenschaftliche Grundlagen in Bayern
Die Grundlage jeder Debatte muss die wissenschaftliche Erkenntnislage im eigenen Land sein.
Das aktuell laufende Forschungsprojekt der Technischen Universität München (TUM) unter Leitung von Prof. Dr. Andreas König untersucht erstmals systematisch die genetische Struktur des bayerischen Rotwildes.
Im Zeitraum September 2023 – Februar 2026 werden rund 3.000 Proben aus allen Rotwildvorkommen Bayerns analysiert. Neben genetischen Markern werden Altersbestimmung, Konditions- und Konstitutionsdaten erhoben. Das Ziel: eine objektive, belastbare Datengrundlage über Populationsstruktur, Fitness und Anpassungsfähigkeit.
Diese Forschung stellt die bisher umfassendste Untersuchung der Rotwildgenetik in Bayern dar. Sie verbindet molekulargenetische Analysen mit forstwissenschaftlicher, jagdlicher und ökologischer Praxisbewertung – und ist damit die einzige wissenschaftlich tragfähige Basis für politische und administrative Entscheidungen.
Solange diese Studie nicht abgeschlossen und ausgewertet ist, verbieten sich alle pauschalen Aussagen über genetische Defizite oder wanderökologische Notwendigkeiten. Wissenschaftliche Redlichkeit erfordert, offene Fragen nicht mit Ideologie, sondern mit Daten zu beantworten.
Die Realität der bayerischen Landschaft
Bayern ist kein Wildnisgebiet, sondern ein hochkomplexes, genutztes Kulturland. Siedlungen, Verkehrswege und Nutzflächen prägen den Raum und bestimmen seine Tragfähigkeit.
Rotwildgebiete wurden in diesem Kontext bewusst und begründet geschaffen – als Instrument, um Konflikte zu begrenzen und geordnete Rotwildbewirtschaftung zu ermöglichen. Sie sichern den Bestand, ohne land- oder forstwirtschaftliche Nutzung übermäßig zu belasten, und sie schaffen Planbarkeit: für Eigentümer, Jagdpächter und Verwaltung gleichermaßen.
Die Behauptung, großflächige Wanderkorridore oder die Abschaffung von Rotwildgebieten seien eine ökologische Notwendigkeit, verkennt diese Realität. Solche Begebenheiten würden neue Konflikträume öffnen: Schäden an Jungwuchs und Grünland, Verkehrsunfälle, Haftungsfragen, Wildseuchenrisiken. Sie würden Eigentum zum Transitraum degradieren und rechtliche Unsicherheiten schaffen, ohne genetische Vorteile zweifelsfrei zu belegen.
Natürlicher Austausch zwischen Populationen erfolgt ohnehin – punktuell, generationenübergreifend, über Fernwechsel einzelner Hirsche. Das System der bayerischen Rotwildgebiete schließt diese natürliche Dynamik nicht aus, sondern lenkt sie in geordnete Bahnen.
Genetik und Anpassungsfähigkeit – nüchtern betrachtet
Genetische Vielfalt ist ein Maß für die Anpassungsfähigkeit einer Art. Sie wächst nicht durch politische Deklarationen, sondern durch stabile, gesunde Populationen mit ausgewogener Alters- und Geschlechterstruktur.
Die bisherigen Erkenntnisse aus Bayern zeigten keine Hinweise auf Inzucht oder degenerative Erscheinungen. Kondition, Körpermaße und Altersstrukturen wiesen auf vitale Bestände hin, die sich im Rahmen der jeweiligen Lebensräume erhalten und anpassen konnten.
Genetische Vielfalt entsteht langfristig – sie lässt sich nicht administrativ verordnen und schon gar nicht durch willkürliche Grenzverschiebungen herbeiführen. Entscheidend ist das Zusammenspiel aus Bewirtschaftung, Lebensraumqualität und jagdlicher Verantwortung.
Verantwortung, Eigentum und Praxis
Das Eigentum an Grund und Boden ist verfassungsrechtlich geschützt. Es bildet die Grundlage land- und forstwirtschaftlicher Nutzung, jagdlicher Organisation und lokaler Wertschöpfung. Rotwildbewirtschaftung kann nur funktionieren, wenn Eigentümer, Jäger und Verwaltung auf Augenhöhe zusammenarbeiten.
Der Bayerische Bauernverband spricht sich mit seiner Landesarbeitsgemeinschaft der Jagdgenossenschaften und Eigenjagdbesitzer (ARGE Jagd) ausdrücklich gegen jede Form zentralistischer Flächenplanung aus, die ohne Zustimmung der Betroffenen in bestehende Nutzungsverhältnisse eingreift.Korridore oder Gebietserweiterungen dürfen nur dann entstehen, wenn sie freiwillig, wissenschaftlich nachvollziehbar und rechtssicher gestaltet sind.
Die Jägerschaft trägt dabei eine zentrale Verantwortung. Bekannte Fernwechsel können in jagdlicher Eigenverantwortung berücksichtigt werden – das geschieht vielerorts bereits. So entsteht praktischer Artenschutz, ohne den Eigentumsschutz auszuhöhlen oder überregionale Zwangsstrukturen zu errichten.
Fehlender Vollzug und Fütterungsverbot in rotwildfreien Gebieten
Der Bayerische Bauernverband mit seiner Landesarbeitsgemeinschaft stellt mit Nachdruck fest, dass der gesetzlich verankerte Auftrag zur Rotwildfreihaltung außerhalb der ausgewiesenen Rotwildgebiete in der Praxis vielerorts nicht konsequent umgesetzt wird. Obwohl der Gesetzgeber in Art. 1 Abs. 2 Nr. 2 BayJG den Vorrang des Waldes und damit die Verpflichtung zur Begrenzung überhöhter Wildbestände ausdrücklich festschreibt, bleibt der behördliche Vollzug dieser Vorgabe vielfach aus. In mehreren Regionen Bayerns konnten sich dadurch – entgegen der geltenden Rechtslage – dauerhafte Rotwildvorkommen in eigentlich rotwildfreien Gebieten etablieren.
Der Bayerische Bauernverband fordert daher mit seiner ARGE vom Staatsministerium für Wirtschaft, Landesentwicklung und Energie sowie von den nachgeordneten Jagdbehörden, den gesetzlichen Auftrag der Rotwildfreihaltung konsequent umzusetzen. Dazu gehören insbesondere:
- die regelmäßige Überwachung und Erfassung von Rotwildvorkommen außerhalb der Rotwildgebiete,
- die Anordnung von Erlegungskontrollen und anderen geeigneten Maßnahmen zur Wiederherstellung des rotwildfreien Zustandes,
- sowie ein klares Verwaltungshandeln, dass Verstöße gegen die Rotwildgebietsverordnung auch tatsächlich sanktioniert.
In engem Zusammenhang steht das Thema der Fütterungen. Nach Art. 43 BayJG, AVBayJG §17 und AVBayJG §23a sind Rotwildfütterungen in rotwildfreien Gebieten grundsätzlich unzulässig. Sie fördern die Ansiedlung von Wild an Standorten, an denen seine Anwesenheit rechtlich nicht vorgesehen ist, und konterkarieren damit den gesetzlichen Auftrag der Rotwildfreihaltung. Lediglich in alpinen Hochlagen kann in Ausnahmefällen eine zeitlich begrenzte Notzeitfütterung zulässig sein, wenn witterungsbedingte Engpässe aus Tierschutzgründen keine Alternative lassen.
Der Bayerische Bauernverband mit seiner ARGE Jagdgenossenschaft fordert daher:
- ein vollständiges Verbot und die Entfernung bestehender Rotwildfütterungen in rotwildfreien Gebieten,
- die Überprüfung und Genehmigungspflicht aller bestehenden Fütterungseinrichtungen durch die zuständigen Behörden,
- sowie die Einbindung dieser Verpflichtungen in den jagdrechtlichen Vollzug durch die Unteren Jagdbehörden.
Nur ein konsequenter Vollzug und die Einhaltung des Fütterungsverbots gewährleisten, dass die Zielsetzung des bayerischen Jagdrechts – „Wald vor Wild“ – nicht zur bloßen Formel verkommt, sondern als praktischer Leitsatz für Eigentumsschutz und nachhaltige Bewirtschaftung umgesetzt wird.
Position der Landesarbeitsgemeinschaft:
- Vorrang für Wissenschaft vor Politik: Entscheidungen über Rotwildmanagement erfolgen ausschließlich auf Basis der laufenden TUM und LWF-Ergebnisse, nicht auf Vermutungen oder externen Meinungen.
- Förderung von Forschung und Monitoring: Genetik, Kondition, Altersstruktur und Habitatqualität müssen regelmäßig erhoben und bewertet werden – kontinuierlich, nicht kampagnenhaft.
- Erhalt der bestehenden Rotwildgebiete: Sie sind ein bewährtes Steuerungsinstrument, das Konflikte vermeidet und stabile Populationen ermöglicht.
- Keine landesweiten Wanderkorridore: Großräumige Vernetzungsstrukturen sind ökonomisch riskant und eigentumsrechtlich problematisch. Vernetzung darf nur lokal, freiwillig und mit Zustimmung der Eigentümer erfolgen.
- Rotwildfütterung und Mitwirkung der Eigentümer: Bei Entscheidungen über Rotwildfütterungen sind künftig Jagdgenossenschaften als Jagdrechtsinhaber verbindlich mit einzubeziehen. Innerhalb der Rotwildgebiete soll die Fütterung außerhalb der Notzeit entbürokratisiert und erst im Einvernehmen mit der Jagdgenossenschaft begonnen werden. Außerhalb der Rotwildgebiete sind Fütterungen abzulehnen, um den gesetzlichen Auftrag der Rotwildfreihaltung zu erfüllen.
- Erlegung von 2A-Hirschen in roten Revieren: In Revieren mit überhöhten Rotwildbeständen soll die Erlegung von Hirschen der Altersklasse II a zugelassen werden, wenn sie im Rahmen der Abschussplanung der Bestandsregulierung und der Sicherung der natürlichen Waldverjüngung dient. Damit wird eine praxisorientierte und rechtssichere Bejagung ermöglicht, die den Grundsatz Wald vor Wild konkret umsetzt.
- Muttertierschutz (§ 22 Abs. 4 BJagdG): Es wird eine praxistaugliche und tierschutzkonforme Klarstellung des Muttertierschutzes gefordert. Bei erkennbar nicht schuldhaftem Handeln – etwa wenn eine Führung objektiv nicht feststellbar war – darf keine Sanktionierung erfolgen. Der Schutz führender Tiere bleibt gewahrt, zugleich wird die jagdliche Praxis rechtlich abgesichert.
- Stärkung der Eigenverantwortung: Jagdliche Praxis und regionale Abstimmung sind entscheidender als zentrale Vorgaben. Verantwortung vor Ort sichert Akzeptanz und Effizienz zugleich.
Das Rotwild braucht keine symbolischen Wanderachsen, sondern Lebensräume mit Augenmaß und Verantwortung. Es braucht wissenschaftliche Grundlagen, nicht politische Deutung. Und es braucht Eigentümer, Jäger und Bewirtschafter, die wissen, wovon sie sprechen – weil sie tagtäglich Verantwortung tragen.
Der Bayerische Bauernverband und seine Landesarbeitsgemeinschaft der Jagdgenossenschaften und Eigenjagdbesitzer in Bayern stehen für ein modernes, faktenbasiertes und eigentumsfreundliches Rotwildmanagement:
Für genetische Vielfalt durch kluge Bewirtschaftung. Für Wald aber auch für Wild – nicht für Schlagzeilen.