Walter Heidl Interview
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„Tierwohl-Inszenierung“ mit Anzeigenkampagnen

Bauernpräsident Heidl schreibt offenen Brief an Aldi

01.02.2022 | In einem Offenen Brief an die Geschäftsleitung von Aldi Süd kritisiert Bauernpräsident Walter Heidl die „Tierwohl-Inszenierung“ mit Anzeigenkampagnen. Er wirft Aldi vor, mit diesem „Haltungswechsel“ kleinere Betriebe aus dem Markt zu drängen. Hier der Brief im Wortlaut:

„Die bayerischen Bauernfamilien sind wütend und enttäuscht. Aldi inszeniert sich aktuell mit einseitigen Anzeigen in vielen Tageszeitungen und Slogans wie „Tierwohl ist eine Frage der Haltung“, „Heute für Morgen“ und „Unsere Maßnahmen für ein tiergerechteres Morgen“ gegenüber Öffentlichkeit und Verbrauchern als Hüter und Unterstützer von Tierwohl in der Landwirtschaft. Tatsächlich erleben wir Bauernfamilien Aldi aber anders: Aggressive Niedrigpreisstrategien, auch für Tierwohl-Fleisch. Und in den rund zweijährigen Verhandlungen über ein branchenweites Tierwohlprogramm für Rindfleisch und Milch für die Haltungsformstufe 2, die aktuell gerade vor dem Abschluss stehen, mussten die Vertreter der Landwirtschaft um jeden Zehntelcent an Kostenausgleich für die Umsetzung von mehr Tierwohl auf den Betrieben erbittert kämpfen. Die Vertreter des Lebensmitteleinzelhandels verhinderten einen umfangreicheren Katalog an Tierwohlkriterien für das Programm, da sie den Kostenausgleich für die Landwirte nicht bezahlen konnten oder wollten. Wenn gleichzeitig offenbar große Budgets für Medienkampagnen vorhanden sind, dann passt das einfach nicht zusammen!
Hinzu kam dann, dass der Lebensmitteleinzelhandel nicht bereit war, kleineren Betrieben einen gesonderten Zuschlag zu gewähren, um sie auf dem Weg zu mehr Tierwohl angemessen zu unterstützen. Der für das Tierwohlprogramm als Maßstab angesetzte 85-Kuh-Betrieb mit über 700.000 kg Milcherzeugung pro Jahr ist mehr als doppelt so groß wie der durchschnittliche Milchkuhbetrieb in Bayern. Dies war der erste Schlag ins Gesicht der kleineren Betriebsstrukturen und wird es den kleineren Betrieben deutlich erschweren, an dem Programm teilzunehmen. Denn der Ausgleich für ihre höheren Kosten für mehr Tierwohl wird durch den Zuschlag von 1,2 Cent/kg Rohmilchäquivalent nicht gedeckt werden!
Als ob das nicht schon mehr als gereicht hätte, bedeuten der in den aktuellen Aldi-Anzeigen nun angekündigte Verzicht bei Trinkmilch der Eigenmarken auf die Haltungsformstufe 1 bis 2024 sowie bei Frischfleisch bis 2025 und dann Komplettumstellung von Frischfleisch und Trinkmilch der Eigenmarken auf Haltungsformstufen 3 und 4 bis 2030 einen zweiten Schlag ins Gesicht wiederum insbesondere der kleineren bäuerlichen Betriebe. Die Auslistung der Haltungsformstufe 1 ist eine Diskreditierung der hohen gesetzlichen Anforderungen an die Tierhaltung.
Und gleichzeitig hält sich der Lebensmitteleinzelhandel aber genug Hintertüren offen, um sich zwar einerseits bei Trinkmilch der Eigenmarken und Frischfleisch dann die höchsten Haltungs-formstufen auf die Fahnen zu schreiben, aber andererseits in anderen Marktsegmenten wie Tiefkühlprodukten oder Verarbeitungsware und natürlich bei Importprodukten weiterhin alle Freiheiten zu haben.
Die bayerischen Bauernfamilien erwarten von Aldi Bereitschaft für angemessene Honorierung von Tierwohl, Berücksichtigung der besonderen Situation kleinerer Betriebe sowie Einbeziehung aller Marktsegmente in Tierwohlprogramme, aber dafür schrittweise Entwicklungen und mehr Nebeneinander der verschiedenen Haltungsformstufen. Das wäre ein ernsthafter gemeinsamer Weg hin zu mehr Tierwohl, der auch die kleineren Betriebe mitnehmen würde, statt sie aus dem Markt zu drängen.“

 

Interview mit Bauerpräsident Walter Heidl zu den Aktivitäten des LEH